TEXT

< ABOUT

HARALD UHR 

Exhibition introduction on the occasion of the opening  MAKE UP your mind, 2015 LINK

 

…… Auf den ersten Blick wirkt das Ausstellungsambiente wie aus einem Guss. Alles, was wir hier zu sehen bekommen erscheint aufeinander abgestimmt, obwohl wir es, wie der Pressetext besagt, mit einer Werkauswahl des langfristig verfolgten Projekts „POWDER ROOM“, realisiert in unterschiedlichen medialen Umsetzungen als Digitaldruck – dreidimensionales Objekt, Malerei – Collage – Textilarbeit – Video zu tun haben. Und ein genauerer Blick auf die Exponatenliste gibt darüber Aufschluss, dass wir zwar überwiegend neuere und neueste Arbeiten der Künstlerin zu sehen bekommen, durchaus aber auch deutlich ältere Werke in das homogen erscheinende Ganze integriert sind.

Bei längerem Verweilen hier in den beiden hergerichteten Räumen beschleicht uns vielleicht sogar die Vermutung, dass die Ausstellung es nicht beim Herzeigen oder Inszenieren diverser Objekte, Bilder und Filme belässt, sondern einen weit darüber hinaus ausgreifenden Anspruch erhebt. Die Exponate sind sicherlich ein Teil der Ausstellung, mit Sicherheit auch ein sehr gewichtiger Teil. Aber doch eben nur ein Teil. Auf den gedruckten Einladungskarten finden Sie ein umfangreiches sogenanntes „Rahmenprogramm“ zur Ausstellung aufgelistet: von einem Künstlergespräch, einer Lesung, einem DJ-Set ist dort die Rede. Performative Auftritte werden genannt. Auch die Tatsache, dass ich hier vor Ihnen stehe und zu Ihnen spreche, darf getrost als Teil der Ausstellung betrachtet werden, ist es doch heutigen Tags, eher ungewöhnlich, dass im Rahmen einer Galerieausstellung eine einführende Rede gehalten wird. Das Rahmenprogramm ist demnach vielleicht nicht bloß rahmende Zutat, sondern elementarer Bestandteil der Szenerie, ja komplettiert diese eigentlich erst.

Wenn wir den Radius sogar noch etwas weiter spannen, werden Sie ganz richtig vermuten, dass auch Sie hier als Besucher und Besucherin, als Betrachtende und Zuhörende zu einem gewichtigen Teil des Ausstellungsarrangements zu rechnen sind. Nicht als Konsumenten werden Sie hier angesprochen, sondern als unverzichtbare Adressaten des Ganzen. „MAKE UP your mind“ –schon der Titel der Ausstellung enthält schließlich einen Appell.

Ins Blickfeld gerät dabei der kontingente und schwer zu erfassende Bereich der Wirkungen und Effekte, die Kunst situativ, d.h. bezogen auf einen räumlichen und diskursiven Kontext, sowie relational, d.h. in Bezug auf ihre Betrachter hervorbringt. Dunkel folgt dabei einer seit längerem vorherrschenden Tendenz zur Entgrenzung und Hybridisierung der Medien, die Psychologisierung der ästhetischen Wahrnehmungserfahrung, das im Werk selbst reflektierte und offensiv inszenierte Verhältnis von Werk und Betrachter. Keine persönliche Handschrift drängt sich auf. Nicht der Gestus oder der Stil gewährleistet die Zuordnung, sondern die virtuose Auswahl der Motive und deren Einbindung in einen bildnerischen Kosmos.

Sorgfältig arrangierte Objekte werden ergänzt durch begleitende Texte und Bücher. Aufgerufen werden diverse zeitgemäße Tropen – performative Objekte, die Erotik der Verführung, das Archiv, ein Neuer Materialismus vielleicht, Information als Ornament oder instabile Subjektivität. Die Installation lässt durchscheinen, dass ihr eine Untersuchung vorangegangen ist, es bleibt jedoch dem Betrachter überlassen, die Fäden miteinander zu verbinden.

Der Spiegel fungiert bei Dunkel dabei als ein drittes oder viertes Auge, das den Blick öffnet, ihn multipliziert und immer wieder neue Brechungen hervorbringt. Ihre Ausstellung kann gleichsam als Diskursraum wahrgenommen werden. Die Arbeiten zeichnen einen Weg nach, der von Skepsis, Rückbesinnung und steter Suche erzählen. Der sogenannten Wahrheit der Fotografie etwa setzt Brigitte Dunkel die visuellen Versatzstücke des Unbewussten entgegen. Eine neue, bedingungslos selbstbezogene Wirklichkeit entsteht.

Wir stoßen in diesem Parcours auf visuelle Gesten aus massenkulturellen, subkulturellen und künstlerischen Beständen, die recht präzise sein können und vor allem massiv den Verlust anderer Situierungen kompensieren. Es handelt sich um künstlerische Bemühungen zwischen politischer Deutlichkeit und einem narzisstischen Wunsch nach einer ebenso schönen wie richtigen Position. Schließlich ist die Lust am Schönen nichts anderes als die Lust an uns selbst. Dieses Projekt hat den Vorteil, dass die Verständigungsvorgänge hierüber überhaupt initiiert werden können. Die Suche nach Gegenmodellen. Das augen-scheinliche Interesse am Surrealismus etwa folgt dabei der Logik der Beobachtung, dass dieser sich nicht dafür interessiere, den Verstand zu verlieren, sondern für das, was der Verstand verloren habe.

Bei ihrer Suche nach Grenzerfahrungen, ihren Aktionen an der Schwelle zum Unbekannten, dem Ausloten der Schnittstellen von Kunst und Gefühl, Freiheit und Angst, Schönheit und Schmerz, lässt Dunkel sich von der Einsicht leiten, dass uns unsere innere Natur nie als solche transparent ist. Vielmehr erscheint sie uns zugänglich nur im Modus des Ereignisses. Daher kennzeichnet die künstlerische Welterfahrung von Brigitte Dunkel stets das Einbeziehen von Handlungen und Aktionen. Aus einer vorbehaltlos kreativen Wahrnehmung erscheint der charmant wie akribisch erzeugte Kreislauf des Lebens in all seinen ereignishaften Segmenten als ein unablässiger Prozess, in dem lustvolle Heiterkeit und elementares Wissen von der existenziellen Vielfalt der Welt miteinander verschmelzen.

Mit ihren performativen und filmischen Raumbesetzungen nähert sich die Künstlerin dabei vornehmlich dem eigentlich relevanten Raum an, dem Beziehungs- und Resonanzraum zwischen den Menschen. Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als plausibel, dass die Beschäftigung mit den Zwischenräumen im Fokus von Dunkels künstlerischen Grundlagenforschung steht. Befragt wird etwa das Niemandsland zwischen Innen und Außen, zwischen öffentlichem und privatem Raum, zwischen gesellschaftlicher Relevanz und individuellem Standpunkt. Die Kunst operiert in den Verhältnissen, in die sie eingelassen ist.

Nicht mehr das abgehoben teilnahmslose und ironische Spiel mit Zitaten aus dem Zettelkasten abgelegter und verbrauchter Welterklärungsmodelle steht auf der Agenda. Vielmehr eine Neubefragung überkommener und wieder zu entdeckender Bilder und Handlungsoptionen, die mit dem eigenen Körperempfinden im gesellschaftlichen Raum des Hier und Jetzt abgeglichen werden. Als Gradmesser dient eine Dringlichkeit des Anliegens, neue Akte der Selbstbestimmung, neue Justierungen der Gestaltungsmöglichkeiten eigener Lebensentwürfe anzustoßen. Hinter der Anschmiegung an Vorhandenes und Bekanntes setzt daher auch bei Brigitte Dunkel eine präzise Bildformung ein, deren Spiel mit der Wirklichkeit weder einfache Wiederholung noch eindeutiger Kommentar ist. Vielmehr gilt es, Irritationen und Störungen für das Überleben produktiv nutzbar zu machen.

Jenseits von Diskursivität und Regelsystemen und jenseits bloß intellektueller Intuition entwirft Dunkel ein Zeichen- und Begriffssystem, das aus der Innovation einer abschweifenden und spekulativen Sprache lebt.

In ihrer distanzierten Kargheit operieren die Bilder und Objekte mit einer poetischen Verdichtung und weisen die Künstlerin als Seismographin für jenen zeitgemäßen Bewusstseinszustand aus, der sich dem Rätsel verschrieben hat, um über die Magie der Niederschrift das Verborgene und Vergessene wie ein Orakel zum Sprechen zu bringen. Die Erregung vor dem Unfassbaren wie die Anspannung selbst scheinen in den fragilen Gebilden gespeichert. Ein Wille zur Gestaltung jenseits medialer Logik durch das Abenteuer des immer neuen formalen Handelns schreibt sich in die Bildwerke und ihrem Arrangement ein. In dieser direkt energieschaffenden Grundhaltung ist bei Brigitte Dunkel ein instinktiver Drang zur Anhäufung, zu einer Überfülle von in den Raum ausstrahlenden Zeichen zu erkennen, der dem Ort der konkreten Erfahrung den vitalistischen Ansatz ihrer Gestik aufprägt und ihre Objekte mit starker Emotionalität befrachtet.

 

Brigitte Dunkel schafft in ihren Installationen rätselhafte Beziehungen zwischen Objekten und Formen, die in einem Schwebezustand zwischen der Repräsentation einer subjektiven und facettenreichen Realität und einer künstlerisch poetischen Abstraktion verharren. So werden Spannungsmomente erzeugt, die zunächst verstören und beunruhigen und mehr Fragen aufwerfen, als Antworten liefern.

 

Das Ausstellungsdisplay entwickelt sich nicht linear, sondern in verzweigten und untereinander vernetzten Episoden, es wächst in Zeit und Raum und folgt somit keiner klaren Chronologie. Dunkel begreift die Welt, die menschlichen Beziehungen als „Ensembles“, als veränderliche Konstellationen von Wahrnehmung und Reflexion, von Normen, Geschichten, Emotionen und Theorien. Auf den ersten Blick handelt es sich um rätselhafte Gebilde mit unklarer Formenstruktur. Auf den zweiten Blick erkennt – oder vorsichtiger formuliert, erahnt – man ein komplexes System von bildimmanenten Relationen auf verschiedenen Ebenen. So ist die Form der Ensembles zwar offen und mehrdeutig, doch nach einem bestimmten Ordnungs- und Verweissystem organisiert. Ihr prozesshaftes Arbeiten, das Reproduzieren, Anbauen und Wiedereinbauen bringt es mit sich, dass die Komplexität ihrer Arbeiten kein fester, einmal erreichter Zustand ist, sondern sich ständig verändert. Auf spielerisch-kreative Weise erkundet Brigitte Dunkel somit die poetischen Freiräume unserer durch technische Medien normierten Bildwelten, ohne dass diese sich in jedem Einzelfall einer ‚Plausibilitätskontrolle’ durch den Betrachter unterziehen lassen.

Es geht um Be- und Entgrenzung, der Grenze zwischen Innen- und Außenwelt, um die Notwendigkeit einer Grenzziehung, um die Entgrenzung traditioneller Zeichensetzung. Die Arbeiten werden nicht verstanden als Technik, die lediglich einen Gedanken abbilden, sondern als unterschiedliche Wege, die simultan einen Raum für Gedanken öffnen, das Erlebnis von Bildersprache als ein Raum des Versprechens, als Botschaft, als Verheißung von Bedeutung vermitteln.

 

Mit ihrer Aufwertung des Daseins wirbt Dunkel für eine intensivierte visuelle Wahrnehmung der Welt, um damit die Grenzen der menschlichen Bedingtheit weiter hinauszuschieben und den Raum der menschlichen Freiheit zu erweitern.

Harald Uhr, October 29, 2015

 

Back to top

© BD / VG Bild-Kunst, Bonn / 2006-2024

All Rights Reserved